Sie befinden sich hier:

Die Frauenversteher?

separee
(Kommentare: 0)
Janina Gatzky und Ute Gliwa

Derzeit erobern Frauen ihren eigenen Erotikmarkt. Warum zwei junge Männer dabei mitmischen und wie gut sie Frauen und das Geschäft mit der weiblichen Erotik verstehen, wollte Séparée gern wissen.

  • Interview: Janina Gatzky und Ute Gliwa
    Fotos: © vibraa.com

Wie seid ihr auf die Idee gekommen, einen Online-Sexshop zu eröffnen? Auf Umwegen oder war der Weg klar?

Ganz ehrlich, das war eine «Bieridee» – wohl aber eine, die wir ernsthaft weiterverfolgt und umgesetzt haben. Irgendwie faszinierte uns das Thema, die Produkte und der Markt. Wir wollten mehr wissen und haben einfach mal losgelegt. So entstand mit Kreativität, einer guten Prise Naivität und sehr viel Neugierde «Vibraa.com». Dutzende Prototypen und unzählige Feedbacks und Testings später ist Vibraa der wohl stilvollste, informativste und ansprechendste Love Toy Shop im deutschsprachigen Internet.

Wir mögen euren Shop, weil er eine weibliche Note hat. Dahinter stehen aber zwei junge Männer. Seid ihr die geborenen Frauenversteher?

Nein. Wir sind als Männer geboren und mit einer entsprechend männlichen Denke ausgestattet. Dass sich diese aber deutlich von der Weiblichen unterscheidet, mussten wir bei der Entwicklung von Vibraa sehr früh einsehen. Wir können uns noch gut an die ersten Design-Skizzen erinnern, auf denen viel nackte Haut zu sehen war. Voller stolz präsentierten wir die Entwürfe der Freundin, die so gar keinen Gefallen daran zu finden schien: "Ich will keine Brüste auf der Startseite sehen!" – Was wir toll und ansprechend fanden, kam beim weiblichen Auge überhaupt nicht an. Diese und zahlreiche andere Erfahrungen waren teilweise niederschmetternd, haben uns aber für die Wichtigkeit von Feedback und Testings sensibilisiert. Das macht uns zwar noch lange nicht zu Frauenverstehern, aber das wir in den vergangenen Monaten durch die Vielzahl an Gesprächen das eine oder andere dazugelernt haben und nun besser verstehen, möchten wir nicht abstreiten (lachen).

Trotzdem die Frage: Was wollen Frauen wirklich? Und was sagt eure Verkaufsstatistik dazu?

Frauen sind anspruchsvoller als Männer. Emotion, Stil, Ästhetik und Vorstellung spielen sehr wichtige Rollen und da reicht bereits ein einziges falsches Wort (plakatives Beispiel: «Arsch» statt «Hintern»), um in einer ursprünglichen Symphonie aus Grafik, Bild und Text plötzlich große Dissonanzen zu erzeugen. Auch dieses Feingefühl mussten wir erst entwickeln. Wir sind aber überzeugt, dass sich Perfektionismus und Liebe zum Detail hier lohnt, weil letztlich viele kleine Puzzleteile das Gesamtkunstwerk "Was Frauen wirklich wollen" ausmachen. Es hat sich auch schnell gezeigt, dass Stil und Eleganz bei der Toy-Präsentation nicht ausreichen. Es fehlte nach wie vor am Wissen, was denn Frau mit einem Vibrator oder Liebeskugeln überhaupt anstellen soll. Für uns war das Grund genug über die letzten Monate einen einzigartigen Ratgeber (Guide) rund um Love Toys aufzubauen, der umfangreich über das Thema informiert und inspiriert. Das hat(te) wahrlich einen Effekt auf die Einstellung zu Love Toys, denn dieses Wissen ermöglicht vielen Besucherinnen sich auf eine geschmackvolle und ansprechende Art dem Thema zu nähern und etwas auszuprobieren.

Erkennt ihr Unterschiede zwischen Frauen und Männern im Umgang mit Sextoys? Gibt es da geschlechterspezifische Kaufpräferenzen?

Unsere Stichprobe ist wahrscheinlich zu klein, um valide Aussagen zu treffen. Hinzu kommt, dass wir nur Frauen- und Paar-Toys anbieten. Aus Gesprächen wissen wir aber, dass man seiner eigenen Einschätzung nur bedingt trauen kann. Die selbstbewusste Mittvierzigerin bei der Grillparty zuckte bereits beim S-Wort zusammen und hat noch nie was von Love Toys gehört, während ein dem Anschein nach Mitte-20iger-Mauerblümchen im Gespräch offen zugibt, zu Hause mit einer ganzen Vibrator- und Dildosammlung aufwarten zu können. Ähnliches gilt wohl auch für Männer, wenngleich unserer Erfahrung nach mehr Frauen als Männer bereits Erfahrungen mit Love Toys gemacht haben.

Kaufen mehr Frauen oder mehr Männer bei euch ein?

Definitiv mehr Frauen. Auch wenn viele über das Konto des Mannes zahlen (lachen).

Am Anfang konnte man auf eurer Seite „Sextoys“ kaufen. Mittlerweile heißen sie „Lovetoys“. Warum diese Umbenennung?

Ein weiteres wichtiges Learning. Wir haben uns nach einer Vielzahl an Feedbacks in unserer Kommunikation konsequent vom Sex verabschiedet. Man stelle nur einmal gedanklich die Wörter Sex und Love nebeneinander – Und merkt schnell, dass da ganze Universen dazwischen klaffen. Dieses Gefühl wurde uns eines Morgens beim Frühstück klar und wir beschlossen sofort ein Rebranding. Wir wollen Distanz und Scham abbauen und mehr Zugänglichkeit und Vertrauen schaffen, was uns gemäß Kundenmeinungen und Feedbacks aus dem Umfeld ganz gut gelingt – und ein weiteres kleines Puzzleteil im Gesamtkunswerk "Was Frauen wollen" ausmacht.

Gibt es bei Lovetoys auch Modeerscheinungen und Trends?

Es wird von der Industrie zumindest versucht, die Toys sogenannten Trends und Moden zu unterwerfen. Wenngleich die Mechanik am Ende des Tages bei vielen Produkten eine sehr Ähnliche ist, erkennen wir einen Trend hin zu "mehr Erfahrung" und "weniger Produkt". Der «Key by Jopen Pyxis» kann beispielhaft dafür stehen, dass sich das Augenmerk mehr und mehr auf die gefühlvolle Erfahrung und weg vom eigentlichen Objekt, dem Toy, verschiebt. Love Toys werden darüber hinaus immer weniger als "männlicher Ersatz" sondern viel mehr als Bereicherung und Entdeckung für das individuelle und gemeinsame Liebesleben erkannt.

Wie trefft ihr die Auswahl der Produkte?

Der Auswahlprozess ist eine Mischung aus ehrlicher (Online-)Recherche, Gesprächen mit (S)expertinnen, eigenen Erfahrungen, Marktentwicklungen, Testberichten und nicht zuletzt auch der Verfügbarkeit unseres Zulieferers. Darüber hinaus lässt einem die Erfahrung nach einiger Zeit in diesem Geschäft ein gutes Gespür für die besten Produkte und Marken entwickeln.

Welche Produkte laufen richtig gut? Was sind eure Topseller?

Die klassischen Paarvibratoren (z.B. von We-Vibe), elegante Dildos wie der Lelo Ella aber auch Liebeskugeln (z.B. aus der Fifty Shades of Grey Kollektion) stehen in unserem Ranking ganz oben.

Probiert ihr Produkte auch selbst aus?

Selbstverständlich – wir wollen schließlich wissen, was wir da verkaufen (lacht).

Mal eine persönliche Frage: Was bedeuten Sexualität und Erotik für euch?

Wir versuchen's mal mit Stichworten:

Marc: Ausbrechen aus einer Alltagskonformität. Trieb. Entdecken. Wild. Gemeinsam. Intimität. Lust. Zusammengehörigkeitsgefühl. Einheit. Spaß.

Andreas: Geheimnis. Eleganz und Geschmeidigkeit. Neues und Vertrautes.

Wie seid ihr aufgewachsen? Gab es Sexspielzeug zuhause? Wurde über Sex geredet?

Marc: Ich würde meine Erziehung eher als konservativ denn progressiv bezeichnen. Man sprach zwar über Sex aber eher mit Schamgefühl resp. Unsicherheit als mit Selbstbewusstsein oder Selbstverständlichkeit.

Andreas: Ich bin in einem sehr offenen Umfeld aufgewachsen. Sexualität war nie ein Tabuthema, aber wirkliches Interesse an Love Toys entstand bei mir erst, als wir uns für Vibraa mit dem Thema auseinandersetzten.

Welches Sextoy hättet ihr gern erfunden?

Marc: Weniger ein Sex Toy als eher eine Art "Magische Hand", die bei Frau innerhalb von Sekunden so etwas wie ein "I-want-you-now!" Gefühl auslöst (lacht).

Andreas: Die Duschbrause. Dann wär der Ruf nicht ganz so ruiniert (lacht).

Aus dem Freundinnenkreis hören wir immer wieder Vorbehalte gegenüber Sexshops. Wie kriegt man eine Frau zum Lovetoy-Shoppen?

Genau das haben wir uns zur Aufgabe gemacht. Wir wollen mit mehr Stil, Information, Humor und Kreativität überzeugen, frei nach dem Motto "Weniger Beate Uhse und Orion, mehr Nespresso und Apple".

Noch eine prophetische Frage: Wo geht die Reise hin? Wie wird sich das Sexualleben in den kommenden Jahren verändern?

Wir leben in einem zunehmenden Spannungsfeld aus übersexualisierter Gesellschaft einerseits (Reizüberflutung in der Werbung, Kolumnistinnen die in jedem Magazin über den perfekten Orgasmus schreiben, Exabyte an Pornomaterial online, usw.) und der individuellen sexuellen Entfaltung andererseits ("die eigene Sex-Entdeckungsreise"). Das zwischen diesen Welten teilweise große Lücken klaffen und es einem hohen Maß an Reflexion bedarf, um diese Lücken überhaupt zu erkennen, macht die Sache nicht einfacher. Und ob dies insgesamt zu einer erfüllteren Sexualität beiträgt (weil Lust und Offenheit am Ausprobieren durch verfügbare Information und omnipräsente Inspiration zunehmen) oder zu mehr sexueller Frustration führt (weil man umgeben ist von lauter Sexperten, bei denen immer alles zu klappen scheint) ist auch schwierig zu beantworten.

Wir hoffen, dass wir unsere Besucher mit Vibraa dazu animieren können, ihre eigene (und nicht die vorgelebte) Sexualität zu entdecken und herauszufinden, was ihnen persönlich Spaß macht.

Herzlichen Dank, Marc und Andreas, für das aufschlussreiche Gespräch!

Zurück