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Sex für die Seele

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Janina Gatzky

Guido Dippel, Tantramasseur und 2. Vorsitzender des deutschen Tantramassageverbandes, über neue Berührungsqualitäten, den Spagat zwischen Prostitution und Massage und den Wert der Achtsamkeit

  • Interview: Janina Gatzky
    Fotos: Alexandra Schimske

"Bei Frauen ist das Interesse sehr groß, aber leider ist bei ihnen da immer noch eine Hemmschwelle."

Séparée: Tantra, das klingt nach magischer Sexorgie auf der Yogamatte. Was bedeutet Tantra für Sie?

Tantra ist eine uralte Lebensphilosophie. Das Wort Tantra kommt aus dem Sanskrit und bedeutet soviel wie „verweben, vernetzen“. Es ist vor Tausenden von Jahren in Indien entstanden, um die Kastensysteme aufzubrechen. Früher gab es durchaus auch Orgien in Tempeln und sogar auf Friedhöfen. Für mich bedeutet Tantra vor allem Ganzheitlichkeit bei der Berührung, nicht nur Arme, Beine und Rücken, sondern auch die Zehen, die Haarspitzen und den Intimbereich einzubeziehen, der ja auch dazugehört. Tantra und Tantramassage haben für mich viel mit Respekt, Würde und Achtsamkeit zu tun.

Im Westen wird Tantra oft auf sexuelle Aspekte reduziert, die in der eigentlichen Erkenntnislehre gar nicht im Mittelpunkt stehen. Wo sehen Sie die wesentlichen Unterschiede zwischen Tantra und einem westlichen Umgang mit Sexualität?

Sex im Westen ist mehr auf das Körperliche beschränkt. In unserer Gesellschaft ist das Ziel beim Sex der Orgasmus. Ohne ist der Sex nicht gut. Beim Tantra geht es aber auch darum Seele und Geist einzubeziehen.

Sie haben sich nach eigener Aussage auf den tantrischen Weg gemacht. Wie würden Sie diesen Weg beschreiben? Von wo sind Sie gestartet und wo soll die Reise hingehen?

Es gibt kein Ziel. Ich folge meiner Intuition, dass ich der Gesellschaft, so wie sie heute existiert, noch etwas zu geben habe. Mein Weg begann bei meiner Geburt. Durch Zufall bin ich auf die Tantramassage gekommen. Das hat mir gezeigt, dass es etwas gibt, wo achtsam mit den Menschen und ihrer Sexualität umgegangen wird. Das gilt natürlich auch für andere Bereiche des Lebens. Achtsamer zu sein, zuzuhören, weg von der Oberflächlichkeit. Die meisten Leute wollen doch gar nicht wissen, wie es dem anderen geht, wenn sie fragen „Wie geht’s?“.

Aber nochmal: Warum hängt man einen sicheren Job als Prozessplaner an den Nagel?

Gute Frage. Ich hatte mich eigentlich in meiner Komfortzone eingerichtet, 35 Stunden die Woche, aber etwas fehlte. Ich war nur noch eine Nummer im System. Jetzt empfinde ich wieder große Freude bei der Arbeit, auch wenn es finanziell enger ist. Es ist eine ganz andere Wertschätzung. Geld ist nicht alles. Klar braucht man was, um sich ernähren zu können und die Wohnung zu bezahlen. Aber jetzt habe ich Erfüllung und Wertschätzung gefunden.

Die meisten Tantramasseure sind Frauen. Wie wird man als Mann in diesem Beruf wahrgenommen?

95% aller Masseure sind Frauen, weil mehr Kunden Männer sind. Frauen tun sich noch schwer, eine Tantramassage zu buchen, obwohl es doch immer mehr werden. Sehr viele Frauen interessieren sich sehr für eine Tantramassage, ich kann sie nur ermutigen, zu einem zertifizierten Masseur zu gehen, um zu fühlen, was es für eine Bereicherung sein kann.

Massieren Sie denn auch Männer?

Ja, manchmal. Zuerst ist das für Männer eine große Hürde. Aber es geht ja um den Menschen, nicht um das Geschlecht, obwohl die meisten Männer, die zu mir kommen, schwul sind oder eine Bi-Neigung haben, wenn sie nicht tantraerfahren sind. Es ist aber auch empfehlenswert, gegengeschlechtlich zu massieren. Ying und Yang eben. Bei Frauen ist das Interesse an Tantra sehr groß, aber leider ist bei ihnen da immer noch eine Hemmschwelle. Sie sind nicht so spontan wie die Männer und benötigen im Vorfeld mehr Information.

Genau aus dem Grund wollen wir ja gern von Ihnen wissen, wie denn eine Tantramassage üblicherweise abläuft, damit man eine Vorstellung hat, was einen erwartet.

Frauen schreiben mich meistens im Vorfeld an und fragen nach. Beim Termin selbst beginne ich zuerst mit einem Vorgespräch. Das dauert so 15-30 Minuten. Ich möchte wissen, was die Frau bewegt, zu mir zu kommen. Dann kann sie sich in aller Ruhe frisch machen oder duschen und sich umziehen. Sie trägt dann einen Lungi (Anm. d. Red.: asiatischer Wickelrock) oder einen Kimono.

Und was tragen Sie?

Ich trage auch einen Lungi. Dann betreten wir gemeinsam den Massageraum. Die Massage beginnt mit einem Ritual. Ich heiße sie herzlich willkommen und lade sie auf eine Reise ins Zentrum ihrer Weiblichkeit ein und sage ihr, dass alles willkommen ist, was an Gefühlen aufkommen mag. Die Lust, aber auch die Traurigkeit, was bei Frauen auch öfters mal aufkommt, weil sie noch nie so berührt worden sind. Ich bitte sie, mir ein klares Zeichen zu geben, wenn etwas zu intensiv oder unangenehm ist. Dann entkleide ich mich und dann auch sie. Zuerst berühre ich ihren Rücken im Stehen, dann liegt sie auf dem Bauch. Ich massiere die Beine und Arme. Außerdem läuft Musik, die zur Entspannung beiträgt.

Das vollständige Interview können Sie in Séparée No.4 nachlesen.

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