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Wann kommst du, mein Kind?

separee
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Stephanie Katerle

„Neun Enkel. Habt ihr gehört? Neun!“ Die Mittfünfzigerin, die auf einer Veranstaltung bei ihren drei Kindern steht, blickt sie mit gespielter Ernsthaftigkeit an und hebt den mahnenden Zeigefinger. Die drei Kinder, alle zwischen 18 und 25, sehen sich betreten an. Das Hin- und Hergerissensein zwischen der Kinderrolle und der zugeschriebenen zukünftigen Elternfunktion ist ihnen unbehaglich. „Krieg du neun“, sagt schließlich der Jüngste zu seiner älteren Schwester, „dann haben wir beiden anderen unsere Ruhe.“

  • Text: Stephanie Katerle
    Fotos: © mikhail_kayl - Fotolia.com, Pixabay (Slider)

Kinder gehören zur Lebensplanung der meisten Menschen dazu, wenn ihnen das auch nicht von Anfang an bewusst ist. Erst einmal soll ein vernünftiger Job her. Eine gute Ausbildung steht in unserer Gesellschaft vor dem Wunsch nach Kindern. Vorher wollen Jugend und Freiheit genossen werden. Feiern, Reisen, Lieben und Lernen gehören zur Grundausstattung einer westeuropäischen weiblichen Biografie. Und das ist gut so.

Mit durchschnittlich 15 Jahren werden Mädchen in Deutschland sexuell aktiv. Dank optimierter Pille und der „Pille danach“ kommt es seltener zu ungeplanten Schwangerschaften, die in früheren Jahrzehnten ganze weibliche Biografien (negativ) dominierten. Frauen dürfen heute wählen. Meist entscheiden sie sich mit Ende zwanzig, dass es nun genug ist mit Feiern und ausgelebter Jugendlichkeit. Sie zelebrieren einen fürstlichen Junggesellinnenabschied, planen ein rauschendes Hochzeitsfest und beginnen dann ... zu warten. Sie legen ihre berufliche Planung in die Warteschleife und träumen von zwei Kindern, einem Jungen, einem Mädchen, überlegen schon, in welche Kita die Kleinen sollen, wo die Familie wohnt, wie die Kinder heißen werden. Ein Jahr, zwei, drei. Und irgendwann wird es beim immer wieder hinausgeschobenen Arztbesuch zur Gewissheit: Ohne medizinische Unterstützung wird es nie etwas werden mit dem Kind. Und auch mit Hilfsmitteln vielleicht nicht. Dieser furchtbare Schock ist der erste Schritt in einen Erkenntnisprozess, der das Leben von Frauen und Männern mit einem unerfüllten Kinderwunsch in den folgenden Monaten und oft Jahren unbarmherzig beherrschen wird. „Am liebsten hätte ich mich aufs Dach gestellt und wäre komplett ausgeflippt“, beschreibt Kathrin, eine der Klientinnen in der Kinderwunsch-Beratung, ihr Gefühl. „Ich hätte mit einem Megaphon über die Stadt gebrüllt, dass es eben nicht so leicht ist, wie es scheint. Dass nichts selbstverständlich ist. Und dass es arrogant ist zu glauben, mit dem Tag X käme alles von selbst. Von wegen Pille weg, Kind da. Pustekuchen!“

Der Wunsch nach einem Kind – das wird vielen Frauen in dem Moment zum ersten Mal wirklich klar – ist einer, der ganz und gar, bedingungslos, der leiblich ist, der zehrt und schmerzt, der Körper, Herz und Geist berührt. Der Wunsch nach einem Kind ist nicht wie Fernweh oder die Lust auf einen bestimmten Besitz. Dieser Wunsch ist die Sehnsucht nach dem Leben, nach sich selbst. Ein Wunschkind existiert lange, bevor sein kleiner Körper auf die Welt kommt, als Idee, als Traum im Herzen seiner Eltern. Es fehlt dann nur noch die physische Präsenz des Babys zum Glück. „Als der Wunsch da war, änderte sich mein Leben. Ich war wie besessen. Besessen von Liebe und dem Wunsch, das zu sein, wofür die Natur mich gemacht hat. So dachte ich zumindest“, sagt Lia.

Mit einem Kind leben wir weiter, erkennen wir uns selbst, halten wir das Wesen unserer Liebe und auch uns selbst im Arm. Das soll uns verwehrt bleiben? Was für ein grausamer Einfall der Natur. Dürfen wir jetzt niemals das Wunder bedingungsloser Liebe erfahren? Werden wir bestraft? Wofür?

Manche Frauen beginnen zu grübeln, wenn der Wunsch nach einem Kind sich nicht erfüllt. Sie arbeiten ihre Vergangenheit auf und finden tabuisierte Vorerkrankungen, verdrängte Verhütungsunfälle und oft ein schlechtes Gewissen, denn in weiblichen Biografien gibt es die Befürchtung, dass ein Kind das Ende des freien Lebens sei. Unsere Gesellschaft trägt zu dieser Angst bei. Zuverlässige Kinderbetreuung und gleiche Chancen für Frauen sind nach wie vor Wunschträume. Kinder werden heute mehr denn je bis zum Eintritt in eine legitimierte Beziehung ausgeschlossen, für unzulässig erklärt. In Zeiten des Kinderwunsches kehrt sich dieses Denken um. Das stürzt manche Frauen und Paare in Gewissensnöte. Vielfältige weitere Fragen bewegen Frauen in solchen Phasen. „Hätte ich es früher darauf ankommen lassen sollen?“ „Warum funktioniert mein Körper nicht?“ „Wie funktioniert er überhaupt?“ „Was weiß ich überhaupt über meine Fortpflanzungsorgane?“ „Warum hat mir keiner gesagt, dass meine Fruchtbarkeit schon mit Mitte 20 nachlässt?“

Wer Fehler sucht, wird Fehler finden. Die Diagnose „Fertilitätsstörung“ öffnet den Blick auf alles, was eben nicht funktioniert. Neben der Information über IVF, ICSI, Hormonstimulation und verklebte Eileiter, über die Beweglichkeit und Geschwindigkeit von Spermien verlieren viele Paare den Blick auf das, was gesund und positiv ist. Winzigste Deformationen, die in einer normalen Schwangerschaft überhaupt nicht erwähnt würden, erhalten im Kinderwunsch eine immense Bedeutung. Hier eine Balance zu finden, die den Blick auf den eigenen Körper liebevoll bewahrt, ist die Voraussetzung dafür, auch mit Wohlwollen, Geduld und Liebe auf den Partner zu sehen. Lust zu bewahren und Nähe weiterhin zuzulassen, ist für Kinderwunscheltern eine Herausforderung.

Den vollständigen Artikel lesen Sie in Séparée No.10.

Weiterführende Lektüre bietet auch der Ratgeber "Wir ohne dich - Wie Paare mit unerfülltem Kinderwunsch ihre Liebe bewahren" der Autorin. Klett-Cotta, ISBN 978-3-608-86052-8, 160 Seiten broschiert 16,95 Euro.

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